Polen in der EU - Gewinn oder Verlust?
In
der pauschalen Formulierung des Titels lässt sich die Frage
sicherlich nicht beantworten, es sollte besser nach den möglichen
Vorteilen und den möglichen Nachteilen gefragt werden, denn die
Aufnahme Polens in die EU wird von beiden etwas bringen. Zunächst
muss allerdings die Fragestellung erweitert werden, bevor die
Antworten ebenfalls aus unterschiedlicher Perspektive zu überdenken
sind.
Die differenziert zu beantwortende Fragestellung gilt der
Blickrichtung:
Geht es um die Abwägung der Vor- und Nachteile ...
a) für Polen
b) für die Europäische Union insgesamt
c) für einzelne ältere Mitgliedländer in der EU
Konzentriert man sich ausschließlich auf die erste Variante und
versucht nur die polnische Perspektive zu analysieren, dann müssen
auch hier Fragen und Antworten weiter aufgeschlüsselt werden:
Welche Vor- und Nachteile sind für den Staat insgesamt und/oder
für die polnische Politik zu erwarten? Welche gesellschaftlichen
Gruppen werden von einem EU-Beitritt profitieren, welche Gruppen
werden vielleicht Nachteile hinnehmen müssen? Es müssen
schnelle, mittelfristige und langfristige Einflüsse
unterschieden werden. Schließlich werden die Antworten nach den
verschiedenen sachlichen Orientierungen unterschiedlich
ausfallen; wir können die rein ökonomischen Konsequenzen
diskutieren, wir können aber auch einer Vielzahl anderer
Gestaltungsfelder ins Auge fassen: Folgen für die Kultur, für
das Verständnis der Völker
Europas für den Staat Polen und seine Bevölkerung und umgekehrt
oder aus dem Blickwinkel weltpolitischen Strategiedenkens, um nur
einige Aspekte zu nennen.
Doch bei aller notwendigen Differenzierung, eines muss an den
Anfang gestellt werden: Nach den fürchterlichen Ereignissen in
Europa während des 20. Jahrhundert ist eine Vereinigung Europas
NUR positiv zu sehen, vielleicht ist sie die einzige Alternative,
die Europa und seine Länder überhaupt besitzen, um die
Sinnlosigkeiten, die kriegerischen Attacken, Greuel und
Verbrechen in Europa endgültig in die Geschichte zu verbannen! -
Die Frage stellt sich nur, WIE sollte oder wie KANN eine solche
Vereinigung letztlich aussehen. Zurzeit jedenfalls beschränkt
sich die gesamteuropäische Sicht nahezu ausschließlich auf die
Wirtschaft, bzw. nur auf einen Teil der Wirtschaft. Ist dies
schon ein sehr schwieriger Weg, werden die anderen - vielleicht
sogar wesentlicheren - europäischen Gemeinsamkeiten noch einen
sehr langen und schwierigen Prozess bedeuten. Eine harmonisierte
Politik, gleiche Rechtsgrundlagen, ähnliche Bildungsziele und
schließlich ein gemeinsames sozialpsychologisches "Wir-Gefühl"
der Menschen in Europa für Europa, das mindestens so stark,
besser sogar noch stärker sein sollte wie die verschiedenen
Nationalgefühle, ist äußert schwer zu erreichen, vielleicht
sogar eine Utopie! Allein die zahlreichen unterschiedlichen
Sprachen könnten hier unüberwindliche Barrieren aufbauen.
Dennoch darf dieses Ziel nie vernachlässigt werden, denn ohne
eine Überwindung der gegenseitigen Vorbehalte und Vorurteile
zwischen den europäischen Ländern bleibt eine Europäische
Union ein wenig überzeugendes Modell!
Wenn ich nun die möglichen Vor- und Nachteile eines EU-Beitritts
Polens kommentieren soll, dann kann dies nur eine deutsche Sicht
sein, denn für einen polnischen Standpunkt fehlen mir die
Kenntnisse; ein solcher Kommentar wäre vermessen! Betrachtet man
den Beitritt aus der europäischen Geschichte heraus, dann gehört
Polen ohne Zweifel zu den Mitgliedsländern, denn wie kaum ein
anderes Land am östlichen Rand Mitteleuropas hat trotz der
schmerzlichen Erfahrung mit seinen Nachbarn im Laufe der langen
Geschichte Polen stets seine Zugehörigkeit zu Mitteleuropa
betont und hervorgehoben.
Aus geschichtlicher Sicht hat vielleicht neben der tschechischen
und slowakischen Republik kein anderes Land, das gegenwärtig auf
der Liste zukünftiger Mitgliedschaften, ein höheres Anrecht, in
der europäischen Völkergemeinschaft aufgenommen zu werden als
Polen. Der Vorteil, der dem Land aus einer solchen Mitgliedschaft
entstehen würde, ist - pauschal gesehen - ein wirtschaftlicher;
gerade für Transformationsländer wie Polen bietet die EU eine
Vielzahl von Programmen, mit denen finanzielle Hilfen verbunden
sind. Da die westlichen Länder Europas seit der "Wende"
ohnehin schon vielfältig ökonomisch präsent sind, könnte die
EU eine bessere Transparenz und höhere Rechtssicherheit bringen
(?). Auch eine Erleichterung für die Erschließung neuer Märkte
gehört sicher zu den positiven Gesichtspunkten. Dies ist - wie
gesagt - eine Gesamtwürdigung. Für den einzelnen, für den
polnischen Bürger, kann die Europäische Union aber auch
Nachteile bringen; denn die EU erleichtert auch den anderen
Mitgliedländern den Zugang auf dem polnischen Markt und zerstört
recht schnell eventuell existierende lokale und regionale
Vernetzungen. Der Wettbewerb wird auf jeden Fall zunehmen, und
dieser Wettbewerb ist in Europa eindeutig amerikanisch orientiert
und somit nicht selten fast brutal hart. Zumindest in der
Anfangszeit kann dies zu einem noch stärkeren Auseinanderlaufen
im sozioökonomischen Gefälle der Gesellschaftsgruppen führen.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist der der nationalen Identität; sie
wird sicherlich an Gewicht verlieren, was vielleicht in Polen
nach der langen Zeit der Fremdbestimmung zu sehr kontroversen Gefühlen
und Standpunkten führen wird.
Positiv letztlich wird sich der EU-Beitritt Polens auf die
Regionen beiderseits der polnisch-deutschen Grenze auswirken,
denn beide Teile können sich (eventuell) aus ihrer
problematischen peripheren Ungunstlage befreien; ein bewusstes
Miteinander ist allerdings Voraussetzung.
Und mit einer Hoffnung möchte ich meinen Kommentar schließen:
Es wäre sehr zu wünschen, dass mit dem EU-Beitritt Polens die
über Jahrzehnte und Jahrhunderte andauernden Spannungen und
Verblendungen zwischen den Nachbarn Polen und Deutschland
endliche in einem freundlichen nachbarschaftlichen Nebeneinander
münden würden. Die Nachkriegsentwicklung zwischen Frankreich
und Deutschland macht mir Hoffnung! Dies allein würde
ausreichen, um die polnische EU-Mitgliedschaft ohne Einschränkung
positiv zu bewerten.